In "Die Tageszeitung" July 20, 2013, Rudolf Walther reviews "Im Sog der Technokratie" by Jürgen Habermas:
"Fortschritte und Probleme bei der Zivilisierung"
Excerpts
Habermas’ politische Schriften reagieren auf die Aktualität. Im zwölften Band bilden diesen politischen Schwerpunkt „die europäischen Dinge“, die ihn seit über 20 Jahren beschäftigen. Von den zwölf Texten handelt die Hälfte von „europäischen Zuständen“ und dem Problem der fortschreitenden Aushöhlung der Demokratie durch ein technokratisches Regime unter dem Etikett „Governance“. [.....]
Die Beiträge zu Europa stehen im Bann der seit 2007/08 herrschenden Wirtschafts-, Währungs- und Schuldenkrise, also der „Erpressung der Euro-Staaten durch die Finanzmärkte“ und des technokratischen Krisenregiments der Troika aus Europäischem Rat, Brüsseler Kommission und EZB. Diesem Krisenmanagement fehlt es an demokratischer Legitimität und politischer Perspektive.
Habermas plädiert für eine „Erweiterung der Wir-Perspektive vom Staatsbürger zum europäischen Bürger“ und eine „Verschiebung der Gewichte zwischen Politik und Markt“ zugunsten von mehr Demokratie und mehr Europa, um den Praktiken „neoliberaler Selbstentmächtigung“ ein Ende zu bereiten. Politisch verstandene Solidarität der reichen EU-Staaten mit den armen Ländern des Südens ist keine moralisierende Forderung, sondern eine Konsequenz aus der „normativen Verpflichtung“ (Claus Offe) des Exportweltmeisters, der noch von der Krise profitierte.
Habermas geriert sich weder als EU-Prophet noch als „Realpolitiker“, der sich in „zynischem Defaitismus“einrichtet, sondern sieht in der Entthronung des Europäischen Rates und in der Errichtung einer „politischen Union“ auf der Basis einer supranationalen Demokratie eine Chance. Darin unterscheidet er sich von der Diagnose des Soziologen Wolfgang Streeck in seinem erfolgreichem Buch „Gekaufte Zeit“. Streeck verabschiedet sich von der EU und vom Euro und plädiert für eine Rückkehr zu mehr nationalstaatlicher Souveränität. Habermas sieht darin einen historischen Fehler, den linke Parteien 1914 machten: Aus Angst, von den Nationalisten als „vaterlandslose Gesellen“ verunglimpft zuwerden, marschierten sie mit –in den Krieg. Mit starken Argumenten warnt Habermas vor einer „Umfälschung von sozialen in nationale Fragen“ mit den Rosstäuscherparolen „Nation“ und „Identität“.
In "Süddeutsche Zeitung" (July 17, 2013), Stefan Müller-Doohm reviews "Im Sog der Technokratie" (Suhrkamp Verlag, 2013) by Jürgen Habermas:
"Eine zerrissene Union an der Schwelle"
[not yet available online]
Excerpts
"Die erwähnte Kombination publizistischer Eingriffe mit sozialtheoretisch und politikwissenschaftlich ausgewiesenen Begründungen zählt zu den Hauptgründen, weshalb Habermas als public intellectual Gehör findet: Weil er sich, bevor er sich mit seinen Deutungen zu Wort meldet, mit the state of the art des jeweils behandelten Gegenstandes vertraut macht und auf dieser Basis seine Argumente als „Beihilfe zum fortlaufenden Prozess der öffentlichen Meinungsbildung“ vorträgt. Man kann das durchaus als den Schritt von der Diskursethik zur Diskurspraxis verstehen und darin ohne zu lobhudeln ein Alleinstellungsmerkmal von Habermas in der Arena politischer Kontroversen sehen." [.....]
"Neben der Frage, wie sich die in religiösen Weltbildern aufgehobenen Erfahrungsgehalte und normativen Widerstandspotenziale gegenüber den hegemonialen Ansprüchen szientistisch-naturalistischer Weltdeutungen retten lassen, treibt den 84-Jährigen gegenwärtig eine zweite Thematik um: Wie kann der Existenzkrise der EU begegnet werden? Wie lässt sich aus der Krise heraus eine transnationale Demokratie entwickeln und stabilisieren? Der Kern seiner Antwort: Vor allem anderen bedarf es wirksamer Gegenkräfte gegen den mächtigen Sog der Technokratie; eine dieser Gegenkräfte besteht in einer bewusstmachenden Kritik, von der Habermas hofft, dass sie die Bürger zu mobilisieren vermag.
Aus diesem Grund nutzt er seine Dankesrede aus Anlass der Verleihung des Heinrich-Heine-Preises, um die Brisanz der Euro-Krise zu thematisieren. Die Intellektuellen in der Tradition von Heine müssten sich heute eigentlich scharenweise zu Europa äußern und den Kleinmut der politischen Elite kritisieren. Habermas tut das: "Wir alle ducken uns unter den Forderungen der Finanzmärkte und bestätigen durch Stillhalten die scheinbare Ohnmacht einer Politik, die die Masse der Steuerbürger anstelle der spekulierenden Anleger für den Schaden der Krise zahlen lässt." Was Habermas mit Emphase über Heine äußert, könnte auch als Selbstbeschreibung seiner eigenen Intellektuellenrolle gelesen werden – wenn es etwa heißt, Heine sei ein "mentalitätsprägender Tribun" gewesen. "Und der polarisiert seine Leser, weil er seine Schriften schon in der Erwartung dissonanter Reaktionen verfasst.""
Stefan Müller-Doohm is Professor Emeritus at Oldenburg University. He is the author of "Adorno. Eine Biographie" (Suhrkamp Verlag, 2003) [English: "Adorno" (Polity Press, 2008)] and "Jürgen Habermas. Leben, Werk, Wirkung" (Suhrkamp Verlag, 2008). He is working on an extensive Habermas biography, which will come out on Suhrkamp Verlag in 2014.
In "Neue Zürcher Zeitung" (July 17, 2013), Uwe Justus Wenzel reviews "Im Sog der Technokratie" (Suhrkamp Verlag, 2013) by Jürgen Habermas:
"Überschwang und Misere. Habermas über "europäische Solidarität""
Excerpt
Mit seinem Appell an die Solidarität möchte Habermas sich keine "Verwechslung von Politik mit Moral" zuschulden kommen lassen. (Er korrigiert in einer Fussnote eine einschlägige frühere Auffassung.) Solidarität ist danach etwas, was nicht von allen und nicht mit Blick auf alle gefordert werden kann, sie kann also nicht "kategorisch", nicht moralisch eingeklagt werden. Ebenso wenig lässt sie sich rechtlich erzwingen. Sie erwächst jedoch als Verpflichtung innerhalb von Schicksalsgemeinschaften, die eine Lebensform teilen und auf sozusagen interessierter Gegenseitigkeit beruhen. Der begriffsgeschichtliche Rückblick auf das Konzept der Solidarität offenbart es als seinerseits europäisches: als eine Verbindung des – auch bei Heinrich Heine anklingenden – "Erbes der auf Erlösung oder Emanzipation gerichteten jüdisch-christlichen Brüderlichkeitsethik" mit einem "Republikanismus römischer Herkunft".
On February 11-14, 2013, Jürgen Habermas held a masterclass on international law at the Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law, Heidelberg.
In connection with the masterclass the director of the institute Armin von Bogdandy conducted an interview with Habermas. The interview is available here:
"Discourse Theory and International Law" [pdf].
At the masterclass Habermas presented a short paper on his discourse theory. The paper is available in his new book "Im Sog der Technokratie" (Surhkamp Verlag, 2012), entitled "Stickworte zu einer Diskurstheorie des Rechts und des demokratoschen Rechtsstaates".
Jeremy Waldron has posted a new paper at SSRN:
"Jurisprudence for Hedgehogs"
Abstract:
"The aims of this essay are, first, to present the jurisprudential position that Ronald Dworkin set out in his penultimate book, Justice for Hedgehogs (2011); and, secondly, to elaborate it a little further than Dworkin himself was able to. The position is a distinctive and interesting one. Although Professor Dworkin argued in all his earlier work that moral facts (about rights and justice) were among the truth conditions of legal propositions, now in Justice for Hedgehogs he argued that law is itself a branch of morality. This is a bolder and more radical claim and it requires some quite careful exposition to see how it might be made plausible."
See also Waldron's "Ronald Dworkin: An Appreciation".
The 23rd World Philosophy Conference will be held August 4-10, 2013 in Athen.
According to the tentative program Jürgen Habermas will participate in a session on "Cosmopolitanism", chaired by Noriko Hashimoto, the Aoyama Gakuin University, Japan. David Rasmussen (Boston) and Arne Johan Vetlesen (Oslo) will also take part in the session.
More information on the conference here.
Update:
Pictures from Habermas's lecture in Athen here.
Religion in säkularer Gesellschaft
Über die neue Aufmerksamkeit für Religion in der politischen Philosophie
von Michael Reder
(Verlag Karl Alber)
456 S.
Kurzbeschreibung
Religionen spielen nach wie vor eine wichtige Rolle in demokratischen Gesellschaften. Jürgen Habermas spricht deshalb von der ›postsäkularen Gesellschaft‹. Viele weitere Philosophen der Gegenwart (Jacques Derrida, Richard Rorty, Michael Walzer) prägen mit Habermas zusammen diesen gegenwärtigen philosophischen Diskurs über Religion in der politischen Philosophie. Dieser Diskurs wird in seinen Strukturen und Argumenten in dem vorliegenden Band analysiert und kritisch diskutiert.
Kernfragen des Autors sind, wie Religion und ihre gesellschaftliche Funktion philosophisch verstanden werden kann, was die zentralen Problemstellen des Diskurses über Religion in der politischen Philosophie sind und wie diese mit Blick auf frühere Konzeptionen (Friedrich Schleiermacher oder John Dewey) konstruktiv weitergedacht werden können. Aus der Beschäftigung mit der Religion werden abschließend Schlussfolgerungen für die Debatte über Demokratie gezogen. Die praktische Philosophie kann damit sowohl zur Reflexion der gesellschaftlichen Bedeutung von Religion als auch zur Klärung der Frage, wie Demokratie angesichts pluraler weltanschaulicher Konstellationen heute verstanden werden kann, wichtige Beiträge leisten.
Die vorliegende Studie wurde 2011 an der Fakultät für Philosophie,
Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft der LMU München
als Habilitationsschrift angenommen.
Inhalt [pdf]
1. Religion im Kontext der Säkularisierung
2. Interdisziplinäre Kontexte
3. Rekonstruktion des Diskurses über Religion
[Habermas, Rorty, Walzer, Luhmann, Derrida, Vattimo]
4. Transformationen für den Diskurs über Religion
5. Fazit
Michael Reder ist Professor für Sozial- und Religionsphilosophie an der Hochschule für Philosophie in München.
Paper von Michael Reder:
"Luhmann vs. Habermas revisited. Zwei Funktionale Religionstheorien in ihrer Bedeutung für Bildung in säkularen Gesellschaften" [pdf, 2010].
Professor Christine M. Korsgaard delivered the Pufendorf Lectures 2013 at Lund University, Sweden, on May 28-31, titled "The Natural History of the Good".
The lectures are available here (audios):
1. Good and Good-For (part one)
2. Good and Good-For (part two)
3. What Kinds of Entities can have a Good?
4. The Right and the Good.
Abstract:
"Now good is considered in an absolute way by some philosophers, so that every entity, actually existing, may be considered good; but we pay no attention to such a meaning, and consider a thing as good only insofar as it has a respect to others, and it is understood to be good for some person, or on his behalf.” (Samuel Pufendorf, The Law of Nature and of Nations). The general aim of these lectures is to defend a conception of the Good that is compatible with a naturalistic conception of the world, or, to put it another way, it is to explain how the natural world came to contain things that are properly characterized as good and bad. Simply put, my thesis is that the Good came into the world with the existence of entities for whom things can be good or bad. In support of this thesis I will defend the claim that the concept of something’s being good-for someone is prior to that of something’s being good, and explain how we get from the fact of something’s being good-for someone to its being good. I will then ask what sorts of beings can have a good, and explore the implications of the view for the existence of value in general, and for the relation between the right and the good.
Christine M. Korsgaard is Arthur Kingsley Porter Professor of Philosophy at Harvard University. She is the author of "The Sources of Normativity" (Cambridge University Press, 1996) and "Self-Constitution: Agency, Identity, and Integrity" (Oxford University Press, 2009).
See also two recent papers by Korsgaard:
* "On Having a Good" [pdf] (forthcoming in Philosophy)
* "The Relational Nature of the Good" [pdf] (forthcoming in Oxford Studies in Metaethics).