Monday, May 24, 2010

Excerpts from Habermas' "Wir brauchen Europa!"

Jürgen Habermas' article in "Die Zeit" (May 20) on Germany and Europe is not yet available online. [Update: Now here.]

Here are excerpts from Habermas' article "Wir brauchen Europa":

"Die Länder der Euro-Zone steuern auf die Alternative zwischen einer Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit und der Preisgabe des Euro zu. Es geht nicht um die "gegenseitige Überwachung der Wirtschaftspolitiken" (Trichet), sondern um gemeinsames Handeln. Und darauf ist die deutsche Politik schlecht vorbereitet.

Nach dem Holocaust hat es für die Rückkehr der Bundesrepublik in den Kreis der zivilisierten Nationen - von Adenauer und Heinemann über Brandt und Helmut Schmidt bis zu Weizsäcker und Kohl - jahrzehntelanger Anstrengungen bedurft. Ein taktisch kluger Genscherismus und eine Westorientierung aus Gründen der Opportunität waren nicht genug. Nötig war ein unendlich mühsamer Mentalitätswandel in der Breite der Bevölkerung. Was unsere europäischen Nachbarn am Ende versöhnlich gestimmt hat, waren in erster Linie die gewandelten normativen Überzeugungen und die Weltoffenheit der jüngeren, in der Bundesrepublik herangewachsenen Generationen. Und natürlich haben im diplomatischen Umgang die glaubwürdigen Überzeugungen der seinerzeit aktiven Politiker den Ausschlag gegeben.

Das historisch begründete Misstrauen gegen die Deutschen war nicht durch ihr erkennbares Interesse an einer friedlichen europäischen Einigung allein zu entkräften. Die Westdeutschen schienen sich mit der nationalen Teilung ohnehin abfinden zu müssen. Ihnen konnte es in Erinnerung an ihre nationalistischen Exzesse nicht schwerfallen, auf die Wiedererlangung von Souveränitätsrechten zu verzichten, in Europa die Rolle des größten Nettozahlers zu übernehmen und erforderlichenfalls Vorleistungen zu erbringen, die sich sowieso für die Bundesrepublik auszahlten. Das deutsche Engagement musste, wenn es überzeugen sollte, normativ verankert sein. Den Belastungstest hat Jean-Claude Juncker gut beschrieben, als er im Hinblick auf Angela Merkels kühles Interessenkalkül die Bereitschaft vermisste, "für Europa innenpolitische Risiken einzugehen".

Die neue deutsche Hartleibigkeit hat tiefere Wurzeln. Schon mit der Wiedervereinigung hatte sich die Perspektive eines größer gewordenen und mit eigenen Problemen beschäftigten Deutschlands verändert. Wichtiger war der Bruch der Mentalitäten, der nach Helmut Kohl eingetreten ist. Abgesehen von einem zu schnell ermatteten Joschka Fischer, regiert seit dem Amtsantritt von Gerhard Schröder eine normativ abgerüstete Generation, die sich von einer immer komplexer werdenden Gesellschaft einen kurzatmigen Umgang mit den von Tag zu Tag auftauchenden Problemen aufdrängen lässt. Sie verzichtet im Bewusstsein der schrumpfenden Handlungsspielräume auf Ziele und politische Gestaltungsabsichten, ganz zu schweigen von einem Projekt wie der Einigung Europas.

Heute genießen die deutschen Eliten ihre wiedergefundene nationalstaatliche Normalität. Am Ende eines "langen Weges nach Westen" haben sie ihr demokratisches Reifezeugnis erworben und dürfen wieder "so sein wie die anderen". Verschwunden ist die nervöse Bereitschaft eines auch moralisch besiegten und zur Selbstkritik genötigten Volkes, sich in der postnationalen Konstellation schneller zurechtzufinden. In einer globalisierten Welt müssen alle lernen, die Perspektive der anderen in ihre eigene einzubeziehen, statt sich auf die egozentrische Mischung aus Ästhetisierung und Nutzenoptimierung zurückzuziehen. Ein politisches Symptom für nachlassende Lernbereitschaft sind die Maastrict- und Lissabon-Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die sich an überholten rechtsdogmatischen Vorstellungen von Souveränität festkrallen. Die um sich selbst kreisende und normativ anspruchslose Mentalität eines selbstbezogenen Kolosses in der Mitte Europas ist nicht einmal mehr ein Garant dafür, dass die Europäische Union in ihrem schwankenden Status quo erhalten bleibt."

[.......]

"In Krisenzeiten können sogar Personen Geschichte machen. Unsere schlappen politischen Eliten, die lieber Bild-Schlagzeilen folgen, dürfen sich auch nicht darauf hinausreden, dass es die Bevölkerungen seien, die sich einer tiefer gehenden europäischen Einigung in den Weg stellen. Sie wissen am besten, dass die demoskopisch erfasste Meinung der Leute nicht dasselbe ist wie das Ergebnis einer deliberativ gebildeten demokratischen Willensbildung der Staatsbürger. Bisher hat es in keinem Land auch nur eine einzige Europawahl oder ein einziges Referendum gegeben, in denen über etwas anderes als über nationale Themen und Tickets entschieden worden wäre. Ganz zu schweigen von der nationalstaatlichen Bornierung der Linken (und damit meine ich nicht nur Die Linke), sind uns bisher alle Parteien den Versuch schuldig geblieben, die öffentliche Meinung durch eine offensive Aufklärung politisch zu gestalten.

Mit ein bisschen politischem Rückgrat kann die Krise der gemeinsamen Währung das herbeiführen, was sich manche einmal von einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik erhofft hatten: das über nationale Grenzen hinausgreifende Bewusstsein, ein gemeinsames europäisches Schicksal zu teilen."

No comments:

Post a Comment