Sunday, June 05, 2011

Jonathan Franzen on Habermas and Nietzsche

The June edition of the German monthly "Cicero" features an interview with the American novelist Jonathan Franzen:

"Diese Scheinkultur der Schuld!"

Excerpts:

Q: Kürzlich gab das angesehene US-Magazin „Foreign Policy“ eine Liste der 100 weltweit führenden Intellektuellen heraus, darauf fanden sich zwei Deutsche: Angela Merkel und Renate Künast. Sieht so das derzeitige Deutschlandbild Amerikas aus: grün, weiblich, gut?

A: Mein Bekanntenkreis ist wenig repräsentativ, doch wir wissen schon, was in Deutschland derzeit vor sich geht. Aufs Ganze gesehen ist Amerika aber immer noch ein sehr selbstbezogenes und schlecht informiertes Land. Aber fragen wir uns mal: Wer hätte vor 25 Jahren auf der Liste gestanden? Habermas vielleicht? Auch damals war er keine Hausmarke. In unserer Wohnung sprechen wir zwar oft von Habermas, weil meine Lebensgefährtin Kathy(*) früher mit einem Habermas-Experten verheiratet war. Aber im Ernst: Selbst die deutsche Philosophie hat in den Vereinigten Staaten keinen besonderen Stand, vor allem nicht im Vergleich zur französischen. Foucault, Derrida, Bourdieu und Konsorten, Sie wissen schon… Also, da muss ich wirklich mal schwer nachdenken. Womöglich ist Merkel bei uns im Moment wirklich die berühmteste Deutsche, die sich im weitesten Sinne als Denkerin bezeichnen lässt.

Q: Wo wir gerade davon sprechen: Wie halten Sie es mit der deutschen Philosophie? Gab es prägende Einflüsse auf Ihr Werk?

A: Ich konnte mich bis heute nicht ermannen, Heidegger oder Wittgenstein wirklich durchzuarbeiten. Ihre Philosophie kenne ich nur in groben Zügen. Schopenhauer war der Lieblingsphilosoph meines Vaters. Mit Kant kann ich nach wie vor wenig anfangen. Horkheimer und Adorno habe ich als Student eifrig gelesen – diese unnachgiebige Wut auf die Aufklärung! Aber an erster Stelle würde ich Nietzsche nennen. Seine Schriften geben mir viel zu denken. Wie viele andere Schriftsteller fühle ich mich direkt von ihm angesprochen. Er war selbst ein großer Dichter, und die Fragen des Schriftstellers waren auch seine Fragen.

Note: (*) Franzen's girlfriend is the short-story writer Kathryn Chetkovich.

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