Tuesday, August 10, 2021

Habermas on Karl Heinz Bohrer

Jürgen Habermas has written a remembrance of the German literary scholar Karl Heinz Bohrer, who died last week at the age of 88:

"Literatur und Leben als Lebensthema. Erinnerung an Karl Heinz Bohrer"

(Frankfurter Allgemeine Zeitung, August 11, 2021)


Excerpt:

"Zwar hat Bohrer seinem grollenden politischen Temperament nie entsagt, aber das Projekt, die Kunst für eine Revolutionierung des gesellschaftlichen Lebens in Dienst zu nehmen, erschien ihm als Verrat an der Radikalität der schockierend-augenöffnenden ästhetischen Erfahrung. Das hereinbrechend Explosive und Plötzliche dieser Erfahrung mochte in der künstlerischen Fantasie eine Ähnlichkeit mit den seltenen, von [Walter] Benjamin beschworenen revolutionären Zäsuren der Geschichte haben; aber die Kunst würde den Panzer der Normalität, das Gewöhnliche und die Kontinuität der klebrigen Alltäglichkeit nur durchschlagen können, solange sie das Außeralltägliche, das schechthin Andere des Lebens blieb. Anderseits musste dieses Moment der Unversöhnlichkeit von Kunst und Leben selber gelebt werden. Gegenüber den platonischen Anbetern der reinen Form blieb Bohrer ein Existenzialist. In den Texten von Friedrich Schlegel har er dann nach der Radikalität dieser gelebten Unvereinbarkeit von Kunst und Leben gefahndet; auch deshalb ist für ihn die frühe Romantik immer ein wesentlicher Teil der Aufklärung geblieben." (.....)

"Um einem Missverständnis vorzubeugen: Bohrer war alles andere als ein Esoteriker, er war Rheinländer. Ich erinnere keine Situation, in der Karl Heinz seinen kölschen Tonfall verloren oder gar verleugnet hätte. Einmal hat er mir die heimatlichen Gefühle gestanden, die ihn jedes Mal erfassten, wenn er auf dem Wege von Paris zu seinem Lehrbetrieb in Bielefeld den Rhein überquerte. Über politische Distanzen hinweg habe ich dem rheinischen Landsmann immer freundschaftlich vertraut."


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