Wednesday, September 25, 2024

Habermas on Siegfried Unseld

Jürgen Habermas on Siegfried Unseld in "Die Zeit" (26-09-2024):

"Danke, mein Freund. Eine persönliche Erinnerung an den legendären Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld, der jetzt 100 Jahre alt geworden wäre"

Excerpt:

"Diese letzte Gelegenheit möchte ich nutzen, um Siegfried dafür zu danken, mir die Welt seines Verlages von innen geöffnet zu haben – um nicht bloß der Leser jener Bücher und jener Autoren zu bleiben, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren begannen, das Profil der "Suhrkampkultur" mitzubestimmen. Zum Glück kam es anders.

Im Frühsommer 1963 meldeten sich Siegfried und Hilde Unseld bei uns in Heidelberg zum Kaffee an. Schon bei diesem ersten Treffen war Siegfried ganz er selbst – der zielstrebige, zunächst um Mitarbeit, fast schon um Freundschaft werbende Unternehmer. Es sollte um die Gründung der Theorie-Reihe im Verlag gehen. Bald konzentrierte sich die Unterhaltung auf die Auswahl der Herausgeber, zu denen ich gehören sollte. [.....] Auf die Frage nach dem Motiv erklärte uns Unseld damals, bei der Prüfung der Umsätze der seinerzeit aus der Taufe gehobenen edition suhrkamp habe er entdeckt, dass sich nicht nur Brecht und Hesse, wie zu erwarten, glänzend verkauften, sondern auch Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus. Es waren also die Verkaufszahlen eines im Fach renommierten und offenbar großartigen, "aber für ein breiteres Publikum doch völlig unlesbaren Textes" eines weltberühmten Philosophen, die den Verleger auf seine Idee gebracht hatten. Rückblickend erkennt man in diesem Motiv die zeitgeschichtliche Sensibilität für Kehrtwenden der kulturellen Szene, die den erfolgreichen Verleger auszeichnet. Siegfried hatte eine Nase für die alsbald ausbrechende "Theorieleidenschaft" der jüngeren Generation, die damals erst in der Luft lag.

Das Gespür des Verlegers für einen politisch-kulturellen Wetterwechsel allein erklärt freilich nicht den Erfolg der edition suhrkamp. Zwar ist diese Reihe schließlich vom Verleger sogar gegen den Rat der beratenden Gruppe realisiert worden, aber ohne die vorangehenden Diskussionen mit diesen engsten Autoren wäre daraus nicht der Plan für jene unnachahmliche Mischung aus literarischen, wissenschaftlichen und politischen Titeln entstanden, die für Jahrzehnte eine richtungsweisende, ja tendenziöse Kraft entfalten sollte. Vielleicht wäre das auch nicht ohne den seriellen Regenbogen der Einbandgestaltung von Willy Fleckhaus gelungen; aber was Siegfried Unseld als Verleger spezifisch auszeichnet, ist die an diesem Beispiel sichtbare inhaltliche Kooperation mit den wichtigsten Autoren seiner Generation. Trotz aller persönlichen Konkurrenzen hatte die gemeinsame Beratung ein Gefühl der Zusammengehörigkeit gestiftet. Er hatte ihnen das Bewusstsein gegeben, am selben Strick zu ziehen. Es ging nicht länger nur um die eigenen Bücher, sondern um die Projekte – und die Sorge um die wirtschaftliche Stabilität – "ihres" Verlages. Das verriet sich auch in dem nicht abreißenden Geräusch ihrer leidenschaftlichen Kritik am Verleger – sobald einer dieser Autoren den anderen traf, erregte man sich auch über die strittigen Verlagsangelegenheiten."

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