Tuesday, August 20, 2013

Interview with Rainer Forst in "Der Spiegel"

The German weekly "Der Spiegel" (August 19, 2013) features an interview with Rainer Forst:

"Gerechtigkeit ist radikal

Excerpts

SPIEGEL: Dann wäre die Frage der Gerechtigkeit auch immer eine Frage der Macht?

Forst: In der Tat. Die Willkür ist eine Art der politischen oder sozialen Herrschaft ohne ausreichende Rechtfertigung. Unter ungerechten sozialen und politischen Verhältnissen verstehen wir solche Verhältnisse, in denen Einzelne oder Gruppen über andere herrschen oder ihnen gegenüber Vorteile haben, für die es keinen guten Grund gibt, der denen genannt werden könnte, die beherrscht werden oder die Nachteile haben.

SPIEGEL: Verschiebt das die Frage nicht bloß von der Gerechtigkeit zur Rechtfertigung? Wie ist denn die angemessene Rechtfertigung zu finden?

Forst: Hier ist eine reflexive Antwort nötig, kein Rückgriff auf eine metaphysische Idee: Die gerechte Grundstruktur einer Gesellschaft ist die, in der die Betroffenen selbst als Freie und Gleiche die Macht haben zu bestimmen, was für alle als gerechtfertigt gelten kann. Darin erweist sich die Radikalität der Gerechtigkeitsfrage: Es geht nicht nur darum, wer welche Chancen in einer Gesellschaft hat, sondern insbesondere darum, wer darüber bestimmt, wer welche Chancen hat. Die Gerechtigkeit fragt nicht nur nach der richtigen Zuteilung von Gütern. Sie fragt auch danach, ob die Kriterien der Zuteilung gerechtfertigt sind und wer eigentlich solche Kriterien festlegt und anwendet. Es gibt keine gerechte Teilhabe ohne gerechte Teilnahme. [.....]

SPIEGEL: Kann es nicht doch autoritäre Herrschaftssysteme geben, die um Gerechtigkeit besorgt sind, vielleicht auch rechtsstaatliche Grundsätze respektieren?

Forst: Denen würde ich immer noch ein großes Potential der Willkür unterstellen. Richtig ist, dass autoritäre, nichtdemokratische Systeme, denken wir an China, große Fortschritte bei der Verbesserung des Lebensstandards vieler ihrer Bürger erreichen können. Aber macht das diese Regime gerechter? Oder wenn ein wohlmeinender Diktator beschließt, seinen Untertanen ein angenehmeres Leben zu bescheren, weil er über große Öl-Einnahmen verfügt, aber die Betroffenen nicht mitbestimmen können, wie das geschieht, würden wir dann sagen, das ist eine gerechte Gesellschaft?

Rainer Forst is Professor of Political Theory and Philosophy at Goethe University in Frankfurt, and director of the research cluster on the “Formation of Normative Orders.” He is the author of "Contexts of Justice" (California University Press, 2002), "The Right to Justification. Elements of a Constructivist Theory of Justice" (Columbia University Press, 2011), and "Toleration in Conflict" (Cambridge University Press, 2013). Later this year a selection of his essays is coming out on Polity Press: "Justification and Critique: Towards a Critical Theory of Politics".

See one of my previous posts on Rainer Forst here.

1 comment:

gary e. davis said...

Thomas, thanks for your note about Forst's upcoming Justification and Critique.

I'm glad that the "Formation of Normative Orders" home page is in English.