Thursday, May 02, 2013

Habermas on Democracy and Capitalism (Book Review)

"Blätter für deutsche und internationale Politik" (May 2013) features an extensive review by Jürgen Habermas of Wolfgang Streeck's latest book "Gekaufte Zeit" (Suhrkamp Verlag, 2013).

The review is titled "Demokratie oder Kapitalismus. Vom Elend der nationalstaatlichen Fragmentierung in einer kapitalistisch integrierten Weltgesellschaft" (Blätter, pp. 59-70).


Excerpts
"In seinem Buch über die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus entwickelt Wolfgang Streeck eine schonungslose Analyse der Entstehungs-geschichte der gegenwärtigen, auf die Realwirtschaft durchschlagenden Banken- und Schuldenkrise. [.....] Den Ausgangspunkt bildet die berechtigte Kritik an der von Claus Offe und mir Anfang der 70er Jahre entwickelten Krisentheorie. Der damals vorherrschende keynesianische Steuerungs-optimismus hatte uns zu der Annahme inspiriert, dass sich die politisch beherrschten wirtschaftlichen Krisenpotentiale in widersprüchliche Imperative an einen überforderten Staatsapparat und in "kulturelle Widersprüche des Kapitalismus" (wie es Daniel Bell einige Jahre später formulierte) verschieben und in der Gestalt einer Legitimationskrise äußern würden. Heute begegnen wir (noch ?) keiner Legitimations-, aber einer handfesten Wirtschaftskrise."

"Mit dem Besserwissen des historisch zurückblickenden Beobachters beginnt Wolfgang Streeck seine Darstellung des Krisenverlaufs mit einer Skizze des sozialstaatlichen Regimes, das im Nachkriegseuropa bis zum Beginn der 70er Jahre aufgebaut worden war. Darauf folgen die Phasen der Durchsetzung der neoliberalen Reformen, die ohne Rücksicht auf soziale Folgen die Verwertungs-bedingungen des Kapitals verbessert und dabei stillschweigend die Semantik des Ausdrucks „Reform“ auf den Kopf gestellt haben. Die Reformen haben die korporatistischen Verhandlungszwänge gelockert und die Märkte dereguliert – nicht nur die Arbeitsmärkte, sondern auch die Märkte für Güter und Dienstleistungen, vor allem die Kapitalmärkte [.....]

"Wenig überraschend optiert Wolfgang Streeck für eine Umkehr des Trends zur Entdemokratisierung. Das bedeutet, „Institutionen aufzubauen, mit denen Märkte wieder unter soziale Kontrolle gebracht werden können: Märkte für Arbeit, die Platz lassen für soziales Leben, Märkte für Güter, die die Natur nicht zerstören, Märkte für Kredit, die nicht zur massenhaften Produktion uneinlösbarer Versprechen werden.“ Aber die konkrete Schlussfolgerung, die er aus seiner Diagnose zieht, ist umso überraschender. Es ist nicht der demokratische Ausbau einer auf halbem Wege stehen gebliebenen Union, der das aus den Fugen geratene Verhältnis von Politik und Markt wieder in eine demokratieverträgliche Balance bringen soll. Wolfgang Streeck empfiehlt Rückbau statt Aufbau. Er möchte zurück in die national-staatliche Wagenburg der 60er und 70er Jahre, um „die Reste jener politischen Institutionen so gut wie möglich zu verteidigen und instand zu setzen, mit deren Hilfe es vielleicht gelingen könnte, Marktgerechtigkeit durch soziale Gerechtigkeit zu modifizieren und zu ersetzen.“ Überraschend ist diese nostalgische Option für eine Einigelung in der souveränen Ohnmacht der überrollten Nation angesichts der epochalen Umwandlung von Nationalstaaten, die ihre territorialen Märkte noch unter Kontrolle hatten, zu depotenzierten Mitspielern, die ihrerseits in globalisierte Märkte eingebettet sind. [.....]

[......] Wolfgang Streeck teilt die Annahme, dass sich die egalitäre Substanz der rechtsstaatlichen Demokratie nur auf der Grundlage nationaler Zusammen-gehörigkeit und daher in den territorialen Grenzen eines Nationalstaates verwirklichen lässt, weil sonst die Majorisierung von Minderheitskulturen unvermeidlich sei. Ganz abgesehen von der umfangreichen Diskussion über kulturelle Rechte, ist diese Annahme, wenn man sie aus der Langzeit-perspektive betrachtet, willkürlich. Bereits Nationalstaaten stützen sich auf die höchst artifizielle Gestalt einer Solidarität unter Fremden, die durch den rechtlich konstruierten Staatsbürgerstatus erzeugt wird. Auch in ethnisch und sprachlich homogenen Gesellschaften ist das Nationalbewusstsein nichts Naturwüchsiges, sondern ein administrativ gefördertes Produkt von Geschichts-schreibung, Presse, allgemeiner Wehrpflicht usw. An dem Nationalbewusstsein heterogener Einwanderungsgesellschaften zeigt sich exemplarisch, dass jede Population die Rolle einer „Staatsnation“ übernehmen kann, die vor dem Hintergrund einer geteilten politischen Kultur zu einer gemeinsamen politischen Willensbildung fähig ist."


See a preview of Wolfgang Streeck's book here.


1 comment:

Anonymous said...

Zu dem Autor Wolfgang Streeck und seinem Buch - und dessen Vorgeschichte - ist unter dem folgenden Link ein sehr informativer Beitrag veröffentlicht worden:

http://www.nachdenkseiten.de/?p=17173#more-17173

MfG

Werner W.