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"Kant und Hegel wollten noch den Wahrheitsgehalt der religiösen Überlieferung philosophisch auf den Begriff bringen. In den Krisen- und Entfremdungs-diagnosen der Junghegelianer setzte sich dieser Übersetzungsprozeß eher unbeabsichtigt fort. Auch in dem Perspektivenwechsel, den Existenzphilosophie und Pragmatismus vom Was der Objekte auf das Wie des performativ zu leistenden Umgangs mit der Welt und uns selbst vornehmen, verrät sich eine ähnliche semantische Osmose. [.......]
Die Philosophie sollte den Faden einer dialogischen Beziehung zur Religion nicht abreißen lassen. Denn wir können nicht wissen, ob sich der bis heute – bis zu Jacques Derridas Begriffsschöpfungen – andauernde Prozeß einer Übersetzung unabgegoltener religiöser Bedeutungspotentiale in die Begrifflichkeit nachmetaphysischen Denkens schon erschöpft hat.
Die Empfehlung einer dialogischen Beziehung schließt ein funktionalistisches Verständnis der Religion aus. Denn eine mögliche Fortsetzung jener semantischen Osmose, die ich aus der Sicht der Philosophie angedeutet habe, setzt ja weder voraus, daß dieser Dialog ein Nullsummenspiel ist, noch folgt daraus, daß sich das philosophische Denken auf diesem Wege von Religion abhängig macht. Ich exponiere lediglich die Frage, ob sich vielleicht im Zuge einer weitergehenden philosophischen Versprachlichung des Sakralen die beide folgenden Defizite, die ich als Mängel nachmetaphysischen Denkens empfinde, ausgleichen lassen.
Im Hinblick auf die überkomplexen Herausforderungen der im Entstehen begriffenen Weltgesellschaft empfinde ich es erstens als ungewiß, ob die Ressourcen einer unverlierbaren (!), aber nur schwach motivierenden Vernunftmoral, auf die sich auch die verfassungsrechtlichen Integration weitgehend säkularisierter Gesellschaften in letzter Instanz stützen muß, ausreichen. Diese Moral darf zwar – und das ist ihre Stärke – mit universalistischem Anspruch auftreten; aber zu solidarischem Handelns kann sie uns nur noch indirekt – in der Erwartung eines kumulativen Zusammentreffens individueller Entscheidungen – durch den Appell an das Gewissen eines jeden einzelnen Individuums verpflichten. Kants ”Reich der Zwecke” ist intelligibler Gemeinde der Gläubigen – im Vollzug gemeinsamer Praktiken.
Zweitens bin ich im Hinblick auf die vielfältigen lebensweltlichen Symptome eines sich zum Universum abschließenden und versiegelnden Kapitalismus, der die Politik entwaffnet und die Kultur einebnet, von der Frage beunruhigt, ob der in der Philosophie selbst brütende Defätismus der Vernunft deren Kraft zu einer Transzendenz von innen vollends aufzehrt und die Spannkraft eines üben den jeweiligen Status quo hinauszielenden normativen Bewußtseins zermürbt."
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