Interview with Jürgen Habermas in "Kölner Stadt-Anzeiger" (June 14, 2014):
"
Nationalistische Gespenster rumoren"
Excerpt
"In einer kulturell und weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft ist das demokratische Verfahren die einzige Quelle für Entscheidungen, die als legitim anerkannt werden. Dieses Verfahren gewährleistet grundsätzlich zwei Dinge: einerseits Inklusion, also die Einbeziehung aller Bürger, andererseits Deliberation, z.B. Wahlkämpfe und Parlamentsdebatten, die den politischen Entscheidungen von Wählern oder Gesetzgebern vorausgehen müssen. Das Ergebnis von politischen Wahlen, die über die Machtverteilung zwischen konkurrierenden Parteien entscheiden, unterscheidet sich von demoskopischen Umfrageergebnissen vor allem durch dieses Element vorangehender öffentlicher Debatten. Das hat nichts mit wissenschaftlicher Erkenntnis, aber viel mit der Erwartung zu tun, dass politische Probleme auf eine möglichst rationale Weise gelöst werden. Diese Rationalitätserwartung verlangt nämlich, dass zuverlässige Informationen und gute Gründe für relevante Vorschläge öffentlich auf den Tisch kommen. Dabei spielen normative Gründe oft eine viel wichtigere Rolle als empirische Feststellungen und wissenschaftliche Expertisen – aber es sind in jedem Fall Gründe, die zählen sollen. Diese kognitive Dimension der Willensbildung von Bürgern und Politikern ist umso wichtiger, je größer die Unsicherheit ist, unter der politische Entscheidungen gefällt werden müssen."
The interview has also been published in "
Frankfurter Rundschau" (June 14, 2014) and in "Berliner Zeitung" (June 16, 2014), entitled "
Die Lesarten von Demokratie".