Wednesday, August 26, 2020

New essay by Habermas on the German unification process - a second chance

New essay by Jürgen Habermas in "Blätter für deutsche und internationale Politik" 9/2020:

30 Jahre danach: Die zweite Chance.
Merkels europapolitische Kehrtwende und der innerdeutsche Vereinigungsprozess

Update:
Now in English & free access:
and as a PDF file (Social Europe)

Update:
Comments:

* Jens Bisky - "Eine Kehrtwende in Europa", Süddeutsche Zeitung, September 1, 2020

* Patrick Bahners - "Tadelnde Anerkennung", Frankfurter Allgemeine Zeitung, September 3, 2020.

* Björn Schumacher - "„Herr der Großdebatten“ erneut im Rampenlicht", Junge Freiheit, September 8, 2020.

* Martin Debes - "Habermas und der "Schock von Erfurt"", Thüringer Allgemeine, September 8, 2020.

* Ute Daniels, Andreas Rödder & Andreas Wirsching - "Die neue Übersichtlichkeit", Frankfurter Allgemeine Zeitung, September 30, 2020.

* Alexander Grau - "Habermas' linker Politstempel", Cicero Online, October 3, 2020.

Excerpts from Habermas' essay:

Dreißig Jahre nach der weltgeschichtlichen Zäsur von 1989/90 könnten die schicksalhaft hereinbrechenden Ereignisse erneut eine Zäsur bilden. Das wird sich in den kommenden Monaten entscheiden – in Brüssel, aber nicht zuletzt auch in Berlin.
Auf den ersten Blick scheint es etwas weit hergeholt, die Überwindung der bipolaren Weltordnung und die globale Ausbreitung des siegreichen Kapitalismus mit dem entwaffnenden Naturschicksal einer anhaltenden Pandemie und einer dadurch ausgelösten weltwirtschaftlichen Krise von einstweilen unbekanntem Ausmaß zu vergleichen. Aber wenn wir Europäer auf diesen Schock tatsächlich eine konstruktive Antwort fänden, würde sich in einer Hinsicht eine Parallele zwischen den beiden Zäsuren anbieten. Damals waren die innerdeutsche und die europäische Einigung wie durch kommunizierende Röhren miteinander verbunden. Heute ist ein Zusammenhang beider Prozesse, der damals auf der Hand lag, zwar nicht derart offensichtlich, doch mit Blick auf den bevorstehenden, wenn auch während der drei zurückliegenden Jahrzehnte eigentümlich blass gebliebenen, Nationalfeiertag liegt folgende Vermutung nahe: Die Unwuchten des innerdeutschen Einigungsprozesses sind gewiss nicht die Ursache für die überraschende Wiederbelebung des europäischen Einigungsprozesses, aber der historische Abstand, den wir heute von diesen inneren Problemen gewinnen, hat dazu beigetragen, dass die deutsche Bundesregierung sich endlich wieder der liegengebliebenen historischen Aufgabe der politischen Gestaltung der europäischen Zukunft zuwendet.
Diesen Abstand verdanken wir nicht nur dem Druck der weltweiten Turbulenzen infolge der Coronakrise; auch innenpolitisch haben sich die Relevanzen entscheidend verändert – und zwar vor allem durch die Verschiebung der parteipolitischen Machtbalance infolge des Aufstiegs der AfD. Gerade dadurch erhalten wir dreißig Jahre nach der Zeitenwende eine zweite Chance, die deutsche und die europäische Einheit gemeinsam zu befördern. (.....)

....warum rufen Merkel und Schäuble heute zu dem Mut auf, der ihnen angeblich vor zehn Jahren gefehlt hat? (....) Was sich innenpolitisch in jüngster Zeit geändert hat – und dafür hatte Merkel schon immer eine Spürnase –, ist der Umstand, dass sich zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik rechts von der Union eine erfolgreiche Partei etablieren konnte, die die Europakritik mit einem bisher unbekannt radikalen, nicht länger verstohlenen, sondern nackt auftretenden, ethnozentrisch gefärbten Nationalismus verbindet. Bis dahin hatte die CDU-Führung stets dafür gesorgt, dass sich der deutsche Wirtschaftsnationalismus in eine europafreundliche Rhetorik einkleiden ließ. Doch mit der Verschiebung der parteipolitischen Machtbalance hat gleichzeitig ein Protestpotential seine Sprache gefunden, das sich im innerdeutschen Einigungsprozess lange aufgestaut hatte. (.....)

Denn in der Bundesrepublik finden, wie gezeigt, zwei komplementäre Entwicklungen statt: In Ost und West sind die reziproke Empfindlichkeit und das Verständnis für die nicht selbst gewählten historischen Unterschiede in der Prägung der politischen Mentalitäten gewachsen. Gleichzeitig ist die politische Bedeutung einer nun auch von der politischen Mitte nicht nur ernst genommenen, sondern angenommenen Auseinandersetzung deutlich geworden: Die AfD schürt einen Konflikt, der sich zwar an den asymmetrischen Folgelasten der innerdeutschen Einigung entzündet hat, den sie nun aber spiegelbildlich zu ihrer Ablehnung der europäischen Einigung in einer nationalistischen und rassistischen Sprache neu inszeniert. Dieser ins Völkische verschobene Konflikt hat heute, weil er nicht mehr entlang der geographischen Grenzen historischer Schicksale, sondern entlang von Parteipräferenzen verläuft, einen gesamtdeutschen Charakter angenommen. Je klarer sich die gesamtdeutschen Konturen dieses Konflikts ausprägen, umso mehr befördert die nun endlich in ganz Deutschland betriebene politische Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus den ohnehin gewachsenen historischen Abstand von den Versäumnissen des Vereinigungsprozesses. Und damit ebenso das Bewusstsein, dass zunehmend andere Probleme in den Vordergrund rücken, die wir angesichts einer autoritärer und unfriedlicher gewordenen Welt sowohl innerhalb Deutschlands als auch in Europa nur gemeinsam lösen können.
Diese innenpolitische Verschiebung der Relevanzen können wir als Chance verstehen, den Prozess der deutschen Einigung zu vollenden, indem wir unsere nationalen Kräfte für den entscheidenden Integrationsschritt in Europa bündeln. Denn ohne europäische Einigung werden wir weder die einstweilen unabsehbaren ökonomischen Folgen der Pandemie noch den Rechtspopulismus bei uns und in den anderen Mitgliedstaaten der Union bewältigen.

Saturday, August 22, 2020

Neues Buch: Die Armut unserer Freiheit


Die Armut unserer Freiheit. Aufsätze 2012-2019

von Axel Honneth

(Suhrkamp Verlag, 2020)

350 Seiten




Kurzbeschreibung

In seinem neuen Buch zeigt Axel Honneth, was es aus der philosophischen Tradition über einen vernünftigen Begriff der Freiheit noch zu lernen gibt, was sich heute der Realisierung einer solchen Freiheit in den Weg stellt und woher schließlich die Anregungen für eine weitere Verwirklichung von Freiheit stammen können. In einem ersten Schritt unternimmt er eine zwischen Hegel und Marx vermittelnde Begriffsklärung, während sich der zweite Teil sozialen Problemfeldern zuwendet, in denen die gegenwärtigen Hindernisse einer Realisierung von Freiheit besonders deutlich ins Auge fallen. Abschließend wird der Versuch unternommen, Triebkräfte zu bestimmen, die dem Kampf für die Freiheit heute neuen Aufschwung verleihen könnten.

Inhalt [PDF]

Vorwort: Die Armut unserer Freiheit [Vorschau]

I. Spielarten sozialer Freiheit

1. Untiefen der Anerkennung. Das sozialphilosophische Erbe Jean-Jacques Rousseaus [Zusammenfassung]

2. Von der Armut unserer Freiheit. Größe und Grenzen der Hegelschen Sittlichkeitslehre

3. Die Normativität der Sittlichkeit. Hegels Lehre als Alternative zur Ethik Kants [Zusammenfassung]

4. Hegel und Marx. Eine Neubewertung nach 100 Jahren [Video]

5.Wirtschaft oder Gesellschaft? Größe und Grenzen der Marxschen Theorie des Kapitalismus [Zusammenfassung]

6. Drei, nicht zwei Begriffe der Freiheit. Zur Reaktualisierung einer verschütteten Tradition [Vorschau]

II. Deformationen sozialer Freiheit

7. Die Krankheiten der Gesellschaft. Annäherungen an einen nahezu unmöglichen Begriff [Zusammenfassung]

8. Erziehung und demokratische Öffentlichkeit. Ein vernachlässigtes Kapitel der politischen Philosophie [Video]

9. Demokratie und soziale Arbeitsteilung. Noch ein vernachlässigtes Kapitel der politischen Philosophie [Video]

10. Kindheit. Unstimmigkeiten unserer liberalen Vorstellungswelt

III. Quellen sozialer Freiheit

11. Denaturierungen der Lebenswelt. Vom dreifachen Nutzen der Geisteswissenschaften

12. Gibt es ein emanzipatorisches Erkenntnisinteresse? Versuch der Beantwortung einer Schlüsselfrage kritischer Theorie [Zusammenfassung]

13. Eine Geschichte moralischer Selbstkorrekturen. Auf den Spuren europäischer Solidarität

Friday, August 14, 2020

New Book: Unpublished papers by Richard Rorty


On Philosophy and Philosophers
Unpublished Papers, 1960–2000

by Richard Rorty

Edited by W. P. Małecki & Chris Voparil

(Cambridge University Press, 2020)

250 pages

Description

"On Philosophy and Philosophers" is a volume of unpublished philosophical papers by Richard Rorty, a central figure in late-twentieth-century intellectual debates and a primary force behind the resurgence of American pragmatism. The first collection of new work to appear since his death in 2007, these previously unseen papers advance novel views on metaphysics, ethics, epistemology, philosophical semantics and the social role of philosophy, critically engaging canonical and contemporary figures from Plato and Kant to Kripke and Brandom. This book's diverse offerings, which include technical essays written for specialists and popular lectures, refine our understanding of Rorty's perspective and demonstrate the ongoing relevance of the iconoclastic American philosopher's ground-breaking thought.

Contents [PDF]

Introduction. Rorty as a Critical Philosopher [PDF] - Wojciech Małecki & Christopher Voparil

Part I. Early Papers

1. Philosophy as Ethics
2. Philosophy as Spectatorship and Participation
3. Kant as a Critical Philosopher
4. The Paradox of Definitism
5. Reductionism
6. Phenomenology, Linguistic Analysis, and Cartesianism: Comments on Ricoeur
7. The Incommunicability of 'Felt Qualities'
8. Kripke on Mind-Body Identity

Part II. Later Papers

9. Philosophy as Epistemology: Reply to Hacking and Kim
10. Naturalized Epistemology and Norms: Replies to Goldman and Fodor
11. The Objectivity of Values
12. What is Dead in Plato
13. The Current State of Philosophy in the U.S.
14. Brandom's Conversationalism: Davidson and Making It Explicit
15. Bald Naturalism and McDowell's Hylomorphism
16. Reductionist vs. Neo-Wittgensteinian Semantics
17. Remarks on Nishida and Nishitani.

See also the Richard Rorty Collection at the UCI Libraries, University of California, Irvine [PDF file here].
  

Tuesday, August 11, 2020

New Book: John Rawls - Debating the Major Questions


John Rawls. Debating the Major Questions

Ed. by Jon Mandle & Sarah Roberts-Cady

(Oxford University Press, 2020)

398 pages





Description

This collection of original essays explores major areas of debate inspired by the political philosophy of John Rawls. The volume is divided into ten parts, exploring ten distinct questions. For each question, there is an introductory essay, providing an overview of the relevant arguments from Rawls’s work and the historical contours of the debate that ensued. Each introductory essay is followed by two essays written by scholars who take opposing positions, moving the discussion forward in a fruitful way.

Contents [Preview]

An Introduction to Rawls on Justice - Jon Mandle & Sarah Roberts-Cady [Preview]

Part I: Public Reason

Introduction

1. Public Political Reason: Still Not Wide Enough - David Reidy [Abstract] [the original 2000 essay]

2. Just Wide Enough: Reidy on Public Reason [Draft] - James Boettcher [Abstract]

Part II: Ideal and Nonideal Theory

Introduction

3. The "Focusing Illusion" of Rawlsian Ideal Theory - Colin Farrelly [Abstract]

4- The Value of Ideal Theory - Matthew Adams [Abstract]

Part III: The Libertarian Critique

Introduction

5. Rawls's Underestimation of the Importance of Economic Agency and Economic Rights [PDF] - Jeppe Von Platz [Abstract]

6. Rawls on Economic Liberty and the Choice of "Systems of Social Co-Operation" - Alan Thomas [Abstract]

Part IV: Luck Egalitarianism

Introduction

7. Rawls and Luck Egalitarianism - Kasper Lippert-Rasmussen [Abstract]

8. The Point of Justice: On the Paradigmatic Incompatibility between Rawlsian "Justice as Fairness" and Luck Egalitarianism - Rainer Forst [Abstract]

Part V: The Capability Critique

Introduction

9. Sen's Capability Critique - Chris Lowry  [Abstract]

10. Spectres of Democracy: Detouring the Limitations of Rawls and the Capabilities Approach -Tony Fitzpatrick [Abstract]

Part VI: The Dependency Critique

Introduction

11. The Dependency Critique of Rawlsian Equality - Eva Kittay [Abstract]

12. A Feminist Liberal Response to the Dependency Critique - Amy Baehr [Abstract]

Part VII: Rawls and Feminism

Introduction

13. The Indeterminacy of Rawls's Principles for Gender Justice - M. Victoria Costa [Abstract]

14. A Feminist Defense of Political Liberalism - Christie Hartley & Lori Watson [Abstract]

Part VIII: Rawls and Nonhuman Animals

Introduction

15. Extending Rawlsian Justice to Nonhuman Animals - Sarah Roberts-Cady  [Abstract]

16. Rawls and Animals: A Defense - Patrick Taylor Smith [Abstract]

Part IX: International Economic Justice

Introduction

17. Rawls on Global Economic Justice: A Critical Examination - Rekha Nath  [Abstract]

18. Rawls's Reasoning about International Economic Justice: A Defense - Gillian Brock  [Abstract]

Part X: International Justice and Toleration

Introduction

19. Right-Wing Populism and Non-Coercive Injustice: On the Limits of the Law of Peoples - Michael Blake  [Abstract]

20. Tolerating Decent Societies: A Defense of the Law of Peoples - Jon Mandle  [Abstract]

Thursday, August 06, 2020

Amartya Sen - "Economics with a Moral Compass?"

An excellent interview with Amartya Sen on bringing ethical issues into economics (& Adam Smith, Karl Marx, Piero Sraffa, Joan Robinson et al.): 

(Published in "Annual Review of Economic", August 2020)

The interview is conduced by Angus Deaton.


A video of the interview is available here.