New article by Jürgen Habermas on the structural transformation of the public sphere: Forthcoming in "Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit?", ed. by Martin Seeliger & Sebastian Sevignani (Nomos Verlag, 2021), pp. 470-500.
The title of Habermas's essay is "Überlegungen und Hypothesen zu einem erneuten Strukturwandel der politischen Öffentlichkeit".
Excerpts:
"Ein demokratisches System nimmt im ganzen Schaden, wenn die Infrastruktur der Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit der Bürger nicht mehr auf die relevanten und entscheidungsbedürftigen Themen lenken und die Ausbildung konkurrierender öffentlicher, und das heißt: qualitativ gefilterter Meinungen, nicht mehr gewährleisten kann. (…..) Nicht die Häufung von Fake News sind eine verbreitete Deformation der Wahrnehmung der politischen Öffentlichkeit signifikant, sondern der Umstand, dass aus der Perspektive der Beteiligten Fake News gar nicht mehr als solche identifiziert werden können. (…..)"
"Gewiss, wenn wir uns an die komplexen Bestandsvoraussetzungen der von Haus aus krisenanfälligen kapitalistischen Demokratien erinnern, liegt es auf der Hand, dass ein Funktionsverlust der politischen Öffentlichkeit tiefer liegende Gründe haben kann. Aber das dispensiert uns nicht davon, nach naheliegenden Gründen zu suchen.
Eine solchen Grund sehe ich in der Koinzidenz der Entstehung des Silicon Valley, also der kommerziellen Nutzung des digitalen Netzes, auf der einen und der globalen Ausbreitung des neoliberalen Wirtschaftsprogramms auf der anderen Seite. Die global erweiterte Zone freier Kommunikationsflüsse, die damals durch die Erfindung der technischen Struktur des "Netzes" ermöglicht worden ist, hat sich von Hus aus als das Spiegelbild eines idealen Marktes angeboten. Dieser Markt musste nicht erst dereguliert werden. Dieses suggestive Bild wird freilich inzwischen durch die algorithmische Steuerung der Kommunikationsflüsse gestört, von der die Konzentration der Marktmacht der großen Internetkonzerne zehrt. Die Abschöpfung und digitale Verarbeitung der persönlichen Kundendaten, die mehr oder wenigen unauffällig gegen die kostenlos zur Verfügung gestellten Information der Suchmaschinen, der Nachrichtenportale und anderer Dienstleistungen eingetauscht werden, erklärt, warum die EU-Wettbewerbskommissarin diesen Markt regulieren möchte. Aber das Wettbewerbsrecht ist der falsche Ansatz, wenn man den Grundfehler korrigieren will, dass die Plattformen, anders als die klassischen Medien, für die Verbreitung von wahrheitssensiblen, also täuschungsanfälligen kommunikativen Inhalten keine Haftung übernehmen wollen. Dass Presse, Rundfunk und Fernsehen beispielsweise dazu verpflichtet sind, Falschmeldungen zu korrigieren, macht auf jenen Umstand aufmerksam, der hier interessiert. Wegen des besonderen Charakters ihrer Waren, die eben keine bloßen Waren sind, können sich auch die Plattformen nicht jeder publizistischen Sorgfaltspflicht entziehen.
Auch sie sind verantwortlich und müssen für News haften, die sie weder produziert noch redigieren; denn auch diese Informationen haben eine meinungs- und mentalitätsbildende Kraft. In erster Linie unterliegen sie nicht den Qualitätsstandards von Waren, sondern den kognitiven Standards von Urteilen, ohne die es für uns weder die Objektivität der Welt von Tatsachen noch die Identität und Gemeinsamkeit unserer intersubjektiv geteilten Welt geben kann. In einer schwer vorstellbaren "Welt" von Fake News, die nicht mehr als solche identifiziert, also von wahren Informationen unterschieden werden könnten, würde kein Kind aufwachsen können, ohne klinische Symptome zu entwickeln. Es ist deshalb keine politische Richtungsentscheidung, sondern ein verfassungsrechtliches Gebot, eine Medienstruktur aufrecht zu erhalten, die den inklusiven Charakter der Öffentlichkeit und einen deliberative Charakter der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung ermöglicht." (p. 498f)
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