Friday, May 31, 2024

Habermas und die Genealogie nachmetaphysischen Denkens


Habermas und die Genealogie nachmetaphysischen Denkens 

von Christian Thein

(Hamburg: Felix Meiner, 2024)

322 Seiten






Kurzbeschreibung

Bis in die Gegenwart wird das Werk von Jürgen Habermas in philosophischen Kontexten vor allem durch die Brille von dessen Kommunikations- und Diskurstheorie aus den 1980er und 1990er Jahren gelesen. Christian Thein lenkt in diesem Buch die Aufmerksamkeit auf eine Bruchlinie*), die jene mittlere Werkphase von der späten trennt und auf neue Motivlagen des von Habermas als "nachmetaphysische Denkform" bezeichneten philosophischen Selbstverständnisses hindeutet. 

Diese veränderten Weichenstellungen kulminieren, so zeigt die textgenaue Darstellung von entscheidenden werkbiografischen Entwicklungsschritten, in dem Spätwerk "Auch eine Geschichte der Philosophie". Thein kritisiert die bisher vorgelegten Rezeptionslinien der von Habermas unternommenen genealogischen Rekonstruktion eines historischen "Diskurses über Glauben und Wissen" und konzentriert sich hierbei auf die neuzeitliche Philosophiegeschichte. Zugleich arbeitet er Problemstellungen heraus, die die Situierung des Projektes in aktuellen Debatten der kritischen Philosophie betreffen.

Inhalt

Einleitung

1. Der philosophische Diskurs der Moderne

2. Metaphysisches und Nachmetaphysisches Denken

3. Genealogie der postsekuläre Vernunft

4. Genealogie des nachmetaphysischen Denkens

5. Zur Genealogie der Genealogie nachmetaphysischen Denkens


Die Bruchlinie zwischen der mittleren und der späten Werkphase:

1) den soziologischen Wechsel von einem säkularen zu einem post-säkularen Gesellschaftsverständnis, 

2) die semantische und normative Erweiterung des in der mittleren Werkphase noch gänzlich diskursiv verstandenen Verständigungskonzeptes durch den Rekurs auf verkörperte Interaktionsformen, 

3) die verstärkte Bezugnahme auf außerdiskursive und existentielle Kategorien mit normativer Relevanz für die gegenwärtigen Diskurse und Praktiken, und 

4) die methodische Erweiterung des rekonstruktiven Phänomenzuganges durch genealogische Problematisierungen.

Thursday, May 30, 2024

Das unvollendete Projekt des Jürgen Habermas

Albrecht von Lucke in "Blätter für deutsche und internationale Politik" (June 2024):

"Go west", trotz alledem. Das unvollendete Projekt des Jürgen Habermas

In honor of Jürgen Habermas, who turns 95 on 18 June.


Excerpts:

Als vor 80 Jahren, im Morgengrauen des 6. Juni 1944, über 5000 Schiffe an der Küste der Normandie anlandeten, war dies nicht nur die größte militärische Aktion der Geschichte, sondern zugleich der eigentliche Schicksalstag vor allem West-Europas und der zukünftigen Bundesrepublik. (.....) Ohne diese, von der Roosevelt-Regierung politisch hart erkämpfte Bereitschaft zum "Go east", zum "Zurück nach Europa", hätte es die Verwestlichung der Bundesrepublik nie gegeben – und damit auch nicht den Philosophen Jürgen Habermas, wie die Welt ihn heute kennt, als ebenjenes "Produkt der Reeducation", als das er seine eigene politische Grund-prägung selbst bezeichnet hat. Am Anfang war Amerika: Für Habermas, der den Einzug der US-amerikanischen Soldaten in seiner Heimatstadt Gummersbach als "eine Befreiung, historisch und persönlich", erlebte, war es die demokratische Urerfahrung, lebensweltlich wie politisch, weshalb der Vorwurf des Anti-amerikanismus gegen ihn stets absurd war. "Go west" bedeutete für Habermas: Erst kam das Erlebnis Amerikas, zu Beginn in der Heimat, später auch an zahlreichen US-Universitäten, und erst dann, auch als Korrektiv irregeleiteter Vereinigter Staaten, das Engagement für Europa, aber beides stets auf Basis seiner Grundprämisse: Kommunikation und Verständigung als universalistisches, demokratisches Antidot gegen das nationalistische Freund-Feind-Denken. (.....) Dieses Jahr werden wir in seiner möglichen weltgeschichtlichen Bedeutung erst von seinem Ende her verstehen. Der 5. November 2024 könnte zum D-Day des 21. Jahrhunderts werden und damit den Vorgänger des 20. Jahrhunderts konterkarieren.

(.......) Mit dem Willen zur Entfeindung steht und fällt letztlich auch das Habermassche Kernprojekt eines möglichst herrschaftsfreien Diskurses als Grundlage der Demokratie. Dabei kommt es zentral darauf an, die wechselseitigen Geltungs-ansprüche anzuerkennen: dass die Aussage des Gegenübers aufrichtig gemeint, der Situation angemessen und wahr, also faktenbasiert ist. Was aber ist, wenn dieser Wahrheitsanspruch heute immer stärker auch technisch unterlaufen wird? Wenn wir es mit einem "neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit" zu tun haben, bei dem die Unterscheidung zwischen wahr und falsch immer weniger möglich ist, da mittels immer "perfekter" werdender Künstlicher Intelligenz sogenannte Deepfakes geschaffen werden können, die kein Mensch mehr von der Realität unterscheiden kann? Im Vergleich zu dieser düsteren Orwell-Welt, die heute längst keine bloße Dystopie mehr ist, wirkt die Retusche der "verdienten Genossen" Kamenew und Trotzki nach Lenins Tod 1924 aus dessen bekanntem Foto tatsächlich wie eine stümperhafte Fälschung aus dem letzten Jahrtausend. Mit der zunehmenden Ununterscheidbarkeit zwischen fact and fiction, zwischen Original und Fälschung, bleibt der wechselseitige Wahrheitsanspruch auf der Strecke, der für jede gelingende Kommunikation existenziell ist – und damit auch die conditio humana, um deren Verteidigung es Habermas letztlich geht. Mit diesem dialektischen Umschlag in Lüge und Unvernunft – auf einer "vollends aufgeklärten Erde, die strahlt im Zeichen triumphalen Unheils" (Horkheimer und Adorno) – droht das universalistische Fortschrittsversprechen des Westens zu scheitern, wird aus Verständigung wieder Feindschaft und Unterwerfung. Damit aber bleibt das unvollendete Projekt des Jürgen Habermas das Projekt der Moderne selbst, aber auch ihr Problem – und damit der unabgegoltene Auftrag an uns alle.

Friday, May 17, 2024

Special issue: Rawls at 100; "Theory" at 50

Special issue of “Journal of Social Philosophy”: 

Rawls at 100; Theory at 50 (forthcoming Fall 2024)

Ed. by David Reidy


All the articles are now available online (early view):


David Reidy - "Editor's introduction"

David Reidy - "Rawls and American political traditions" [Paper]

Derrick Darby - "The fair value of voting rights"

Catherine Audard - "Addressing the rise of inequalities: How relevant is Rawls's critique of welfare state capitalism?"

Hannes Kuch - "Difficulties in nurturing a sense of justice"

J. Donald Moon - "Political liberalism today" [First page]

Samuel Freeman - "Ideal theory, political liberalism, and the well-ordered society" [First page]

Blain Neufeld - "Political activism, egalitarian justice, and public reason" [Paper]

Erin Kelly - "Accountability in criminal justice" [Paper]

Rex Martin - "Rawls's idea of human rights revisited" [First page]


Sunday, May 12, 2024

Thursday, May 02, 2024

Res Philosophica - Special Issue on Habermas

 A special issue of "Res Philosophica" (April 2024) featuring articles on the work of Jürgen Habermas:

* William Rehg - "Introduction" (Open access)

Jürgen Habermas - "Thoughts on Reading Kierkegaard in a Pluralist Society" (2000) (Open access)

Michael Haiden - "Jürgen Habermas: A Political Pacifist?" (Open access)

Igor Shoikhedbrod - "Still the “Last Marxist”?" (Abstract)

Fabian Freyenhagen - "Why Professor Habermas Would Fail a Class on Dialectic of Enlightenment" (Open access)

Connor Moran - "Toward A Formal-Pragmatic Theory of Communicative Memory"

Glenn Mackin  - "Meaning, Metalepsis, Time-Travel: Habermas’s Politics of Refusal and Recovery"

John Davenport  - "How Lincoln Scooped Habermas: Co-Originality and the Presuppositional Critique of Slave Constitutions"

Cristina Lafont - "Revisiting the Liberal Case against Liberal Eugenics"

Carlos José Sánchez Corrales - "The Habermasian Translation Proviso of Religious Content"

Amos Nascimento - "The Conceptual Plurality in Jürgen Habermas’s “Auch eine Geschichte der Philosophie”" (Abstract)