Thursday, April 09, 2015

Habermas on the Adorno/Scholem Correspondence

"Die Zeit" (April 9, 2015) features an essay by Jürgen Habermas on the Adorno/Scholem correspondence published in "Theodor W. Adorno/Gershom Scholem Briefwechsel 1939-1969: Der liebe Gott wohnt im Detail" (Suhrkamp Verlag, 2015):

"Vom Funken der Wahrheit"
[now available online]

Excerpts
"Adorno und Scholem sind an dem möglichen Wahrheitsgehalt interessiert, den die monotheistischen Überlieferungen unter Bedingungen der Moderne noch entfalten können. Sie suchen nicht nach mythischen oder vorsokratischen Ursprüngen. Der Mythos, den der Logos der großen Weltreligionen überwunden hatte, darf nicht »das letzte Wort behalten«. Nietzsche ist abwesend, und der Schwefel geruch des neuheidnischen Nietzscheanismus erst recht. Das »Umschlagen der Mystik in Aufklärung« bezeichnet den Ort, an dem sich Adorno und Scholem treffen. Dieser hatte das Fortwirken der abgründigen Lehren eines Luria von Safed in den frankistischen Sekten des 18. Jahrhunderts untersucht und bis in die Französische Revolution hinein verfolgt. An dieser revolutionären Einmischung heterodoxer Lehren in die säkulare Gesellschaft sind die beiden aus verschiedenen Gründen interessiert. 

Einem junghegelianischen Adorno steht der Zerfall der Hegelschen Philosophie vor Augen – der »Verwesungsprozess des absoluten Geistes« (Marx). Er sieht im Wahrheitskern der liegen gelassenen Metaphysik ein transzendierendes, ein befreiendes Moment, das die dumpfe Immanenz eines alle Lebensbezirke durchdringenden Kapitalismus aufsprengen könnte. Wie kann dieser Wahrheitskern in den fortgeschrittensten Gestalten der Moderne, vor allem in der Kunst, wirksam werden? Unter dieser Fragestellung empfiehlt Adorno Scholem seine Deutung von Schönbergs Oper Moses und Aron als einem »sakralen Fragment«. Als dieser skeptisch bleibt, wirbt er im Februar 1964 hartnäckig um Verständnis: »Mir will es scheinen, und ich dächte, auch Sie müßten dazu neigen, daß die einzige Möglichkeit, sakrale Kunst, ebenso wie ihren philosophischen Wahrheitsgehalt, zu retten, heute in der rücksichtslosen Einwanderung ins Profane liegt.«

Aber Scholem interessiert sich nicht für die kulturelle Gestalt eines philosophisch vermittelten Wahrheitsgehalts religiösen Ursprungs, der die säkulare Gesellschaft zu sich selber befreien sollte. Vielmehr sucht er in der Dimension der jüdischen Überlieferung, in der sich die Offenbarung fortsetzt, nach Funken der religiösen Wahrheit selbst. So wohnen wir in diesem Briefwechsel einer merkwürdigen Fortsetzung der ehrwürdigen Diskussion über den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs auf der einen, den Gott der Philosophen auf der anderen Seite bei. Scholem sucht die Stimme Gottes in der Tradition, Adorno nur noch dessen anonymes Pochen in den »Schründen« einer entstellten kapitalistischen Gesellschaft." 

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