New essay by Jürgen Habermas on the global geopolitical landscape and the need for further political integration in Europe:
"Von hier an müssen wir alleine weitergehen"
("Kann sich die EU dem autoritären Sog der USA noch entziehen?")
(Süddeutsche Zeitung, 21-11-2025; paywall).
See also:* "Habermas und Europa: Ein Text für die Zukunft" (Kurt Kister, Süddeutsche Zeitung)
* "Tagung mit Jürgen Habermas. Tiefschwarze Wolken" (Jens-Christian Rabe, Süddeutsche Zeitung)
* "Was am Ende übrigbleibt. Jürgen Habermas fürchtet um das normative Projekt des Westens" (Michael Hesse, Frankfurter Rundschau)
* "Habermas ist der letzte Europäer" (Peter Neumann, Die Zeit)
* "Weltvernunft adé" (Ronald Pohl, Der Standard).
Excerpt:
Wie realistisch ist es, eine weitergehende politische Einigung der EU mit dem Ziel anzustreben, im Rahmen der Weltgesellschaft nicht nur als einer der ökonomisch bedeutendsten Handelspartner, sondern als ein eigenes, politisch selbstbehauptungs- und handlungsfähiges Subjekt anerkannt zu werden?
Obwohl die jüngeren Mitgliedstaaten im Osten der EU am lautesten nach Aufrüstung rufen, sind sie am wenigstens bereit, für eine solche gemeinsame Stärkung ihre jeweils eigenen nationalstaatlichen Verfügungsgewalten einzuschränken. Im Hinblick auf diese Konsequenz müsste die Initiative, obwohl in dieser Hinsicht auch Melonis nationale Regierung ausfallen würde, von den westlichen Kernländern der Union ausgehen – und heute, angesichts der aktuellen französischen Schwäche, in erster Linie von Deutschland. Dazu könnte der in Angriff genommene Aufbau einer gemeinsamen europäischen Verteidigung den Anstoß geben.
Der Bundestag hat inzwischen die Mittel für einen erheblichen Aus- und Aufbau der Bundeswehr beschlossen, wobei mich die fragwürdige Begründung mit der angeblich aktuellen Gefahr eines russischen Angriffs gegen die Nato hier nicht interessieren soll. Allein, die Bundesregierung verfolgt den Aufbau „der stärksten Armee in Europa“ unter den Prämissen der bestehenden Verträge, also letztlich im Rahmen ihrer nationalen Verfügungsgewalt. Damit setzt die Bundesregierung ihre unter Kanzlerin Merkel eingeübte scheinheilige Europapolitik fort: Rhetorisch stets europafreundlich, hatte sie in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene französische Initiativen zu einer engeren wirtschaftlichen Integration, zuletzt die drängende Initiative des frisch gewählten französischen Präsidenten Macron, abgelehnt.
Aber Euro-Bonds sind auch für Kanzler Merz, darin ganz der Sohn Schäubles, vom Teufel. Es gibt kein ernsthaftes Anzeichen dafür, dass die Bundesregierung ernsthafte Schritte unternimmt, eine weltpolitisch handlungsfähige Europäische Union herbeizuführen.
Gewiss, im Zeichen des täglich wachsenden Rechtspopulismus in allen unseren Ländern würde ein solcher, schon lange versäumter Schritt zur weiteren Integration der EU, und damit zu ihrer globalen Handlungsfähigkeit, noch weniger spontane Unterstützung finden als bisher. Auch in den meisten westlichen Mitgliedstaaten der EU sind die innenpolitischen Kräfte für eine Dezentrierung oder Rückabwicklung der EU, mindestens für eine Schwächung der Brüsseler Kompetenzen stärker denn je. Darum halte ich es für wahrscheinlich, dass Europa weniger denn je in der Lage sein wird, sich von der bisherigen Führungsmacht USA abzukoppeln. Ob es in diesem Sog sein normatives und bislang immer noch demokratisches und liberales Selbstverständnis aufrechterhalten kann, wird dann aber die zentrale Herausforderung sein.
Am Ende eines politisch eher begünstigten politischen Lebens fällt mir die trotz allem beschwörende Schlussfolgerung nicht leicht: Die weitere politische Integration wenigstens im Kern der Europäischen Union war für uns noch nie so überlebenswichtig wie heute. Und noch nie so unwahrscheinlich.