Wednesday, November 06, 2019

The first review of Habermas's new book on the history of philosophy

In "Die Zeit" (November 7, 2019) Professor Michael Hampe (Zürich) reviews Jürgen Habermas's new book "Auch eine Geschichte der Philosophie" (Suhrkamp Verlag):

"Jenseits des Glaubens

Excerpts

"Jürgen Habermas ist ein gesellschaftstheoretisch orientierter Philosoph, kein Historiker. Und er hat Auch eine Geschichte der Philosophie geschrieben. Mit ihr schließt er einerseits sein Werk, so wie Kant, Hegel oder Heidegger vor ihm: durch eine Geschichte, die auf sein eigenes Denken zuläuft. Andererseits legt er so etwas wie eine sozialphilosophische "Theorie" von Ritus, Mythos, Religion und ihrem Schicksal im abendländischen Denken vor. Seine Erzählung beginnt nach einer langen Urgeschichte des Religiösen im ersten Band mit der vom Philosophen Karl Jaspers so genannten "Achsenzeit" (zwischen dem 8. und 2. Jahrhundert v. Chr.) und deren "Weltbildrevolution", lässt Buddha und Jesus nicht aus, handelt von Plotin, Augustinus, Thomas von Aquin, Ockham und Machiavelli, um im zweiten zu Luther, Hume, Kant, Hegel, Feuerbach, Marx, Kierkegaard und Peirce überzugehen. Am Schluss erscheint (nach 1680 Seiten) die "diskursethische Erklärung der Vernunftmoral", mit der "der Gebrauch der praktischen Vernunft vom intelligiblen Ich auf eine intersubjektiv ausgeübte Selbstgesetzgebung in praktischen Diskursen umgestellt" wird, also die Philosophie von Habermas selbst." (.....)

Diese Fortschrittsgeschichte ist die "Vorgeschichte einer Paradigmenkonkurrenz" in der Gegenwart. Einer Gegenwart, die durch die Debatten bestimmt ist, in die der Autor Habermas selbst verstrickt war. Die eine Seite dieser Konkurrenz "setzt ihre Analysen bei den Vorstellungen der einzelnen Subjekte an", die andere Seite geht von "geteilten Regelsystemen" aus. Habermas steht auf der Seite der geteilten Regelsysteme. Sofern seine Philosophiegeschichte auf seine eigene Philosophie zuläuft, "entscheidet" er diesen Streit also für sich selbst, das Urteil der Nachwelt antizipierend. 
Obwohl es um Glauben und Wissen geht, handelt es sich um eine Geschichte der Philosophie. Philosophie ist für Habermas im Kantschen Sinne Konkurrenz in "wissenschaftlicher Denkungsart", vernünftiger Streit. Sie hat damit zu tun, dass man argumentativ "Stellungen" bezieht und sie gegen andere "verteidigt". (Das könnte man auch anders sehen, wenn man sie eher als Schriftstellerei begreift.) Die Gegenwart, in der er diese Paradigmenkonkurrenz situiert, ist eine moderne und deshalb "nachmetaphysische".
Habermas bleibt bei dem von ihm schon lange bevorzugten, mit dem Glauben verbundenen Metaphysikbegriff. Metaphysik sei "Glaube an eine restituierende oder rettende Gerechtigkeit" jenseits unserer Lebenswelt, hat also mehr mit Religion, Moral, Recht und der Legitimation staatlicher Herrschaft zu tun als mit dem Buch von Aristoteles, das dieser Disziplin einst ihren Namen gab. Nachmetaphysisch ist dagegen ein Denken, "das Gerechtigkeit auf die Kooperationsbereitschaft kommunikativ vergesellschafteter Subjekte bezieht". Wir leben in einer nach-metaphysischen Zeit, sofern wir in der Zeit von Habermas leben. (....) 
Habermas erkennt eine Metaphysik als "Gestalt des Geistes" in der Gegenwart nicht an, weil "das Denken" seiner Meinung nach "überzeugende Lernprozesse" durch-laufen hat, hinter die "es" nicht mehr zurückfallen könne. "Wir" können nach diesem "okzidentalen Lernprozess" nicht "nostalgisch" zurück zu Thomas von Aquin oder Heraklit. Metaphysiker der Gegenwart sind für ihn deshalb wie religiöse Traditionalisten Sitzenbleiber, die die Versetzung in die Gegenwartsklasse nicht geschafft haben oder nicht mitmachen wollen. (.....)

"Für solche praktische Wirksamkeit der europäischen Philosophie, für die Förderung eines aufgeklärten pluralistischen Lebens, ohne weltanschauliche Bevormundung, hat sich Jürgen Habermas als Freund des Pragmatismus und bekanntester lebender Vertreter der Kritischen Theorie ja immer eingesetzt. Nicht zuletzt, indem er die Rolle des Intellektuellen, der mutig politisch Stellung bezieht, wie wenige andere Philosophen in seinem langen Leben ausgefüllt hat und immer noch ausfüllt. Dafür wird er in Erinnerung bleiben, was immer aus der (diskursiven) Vernunft nun auch noch werden mag angesichts der Trumpeltiere dieser Erde und angesichts der großen historischen Perspektive einer zunehmend globalisierten Philosophie."


See my blog post on the new book by Habermas here.


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