In "Die Zeit" (December 30, 2021), Ute and Jürgen Habermas writes about the painter Günter Fruhtrunk (1923-1982) and his painting "Tagtraum Wiesengrund" (1978):
Eine Würdigung des Malers Günter Fruhtrunk, der im Mai 99 Jahre alt geworden wäre – und uns einst unter seltsamen Umständen ein Bild vermachte.
[The essay will also appear in Markus Ebner (ed.), Zuneigung (Leipzig: Spector Verlag, 2022)].
Excerpt:
"Der Titel unseres Bildes assoziiert vielleicht die musikalische Neigung des Komponisten Adorno zur frühen Romantik. Wie dem auch sei, neben dem Gesprengten Quadrat von 1975 ist Der Tagtraum eines der ganz wenigen Bilder, in denen sich die Dynamik der drängenden, manchmal sogar farblich schrillen, den Beobachter jedenfalls aufreizenden Konstruktionen zu einer reifen, ungewohnt gefassten Souveränität des Ausdrucks gewissermaßen beruhigt hat. In diesem Bild dürfen sich die senkrecht verlaufenden, durch feine dunkelblaue Linien voneinander getrennten, (von links nach rechts) grünen, schwarzen und gelben Streifen ausstrecken und zu breiteren Flächen so ausdehnen, dass damit die wie immer unschattiert monochromen Farben erst den Raum zur vollen Entfaltung ihrer suggestiven Wirkung gewinnen. Allein die gelbe, den Blick zuerst auffangende Fläche wird noch einmal von zwei parallel verlaufenden schmalen schwarzen Streifen durchzogen – aber auch so, dass insgesamt die Ausgewogenheit der Wirkung dieses senkrecht gegliederten Nebeneinanders der eher ausladenden Farbstreifen nicht beeinträchtigt wird. Diese beruhigende Wirkung zeigt sich sogar im Vergleich mit den etwa zeitgleich entstandenen, in ihrer Komposition dem Tagtraum ähnlichen Bildgruppen Erosion und Emanation; selbst sie sind für den Betrachter beunruhigender – im einen Fall durch ein grelles Dunkelrot, im anderen durch die stichige Zusammenstellung von Gelb und Violett.
Während das Werk im Ganzen eher die gewaltige Unruhe, ja Zerrissenheit einer Malerexistenz widerspiegelt, die in Verzweiflung enden wird, zeichnet sich der Tagtraum durch eine fast klassisch aufeinander abgestimmte Organisation der zu grünen, schwarzen und gelben Farbflächen ausgebreiteten Streifen aus. Von seinen konstruktivistischen Anfängen, die er nie verleugnete, hat sich Fruhtrunk entfernt, indem er die Dynamik seiner Farbkompositionen im Hinblick auf die sinnliche Erregung konzipierte, die diese im Auge des Betrachters mobilisieren soll. Mit dieser Dynamik schien er das Unstete und Getriebene seiner eigenen Existenz gleichzeitig ausdrücken und zähmen zu wollen."
(Photo by Barbara Klemm, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2009)Update 15-06-2024:
A colour photo taken by Peter Verovšek June 2024: